Hinaus in die Welt
Ein regional verwurzelter Verlag, der sich mit kulturellen Spuren aus dem Harz beschäftigt, ist der Spelhus Verlag Wernigerode. Im Mittelpunkt seines Programms stehen dabei vor allem Biografien, in denen sich künstlerische Entwicklungen und zeitgeschichtliche Erfahrungen mit individuellen Lebenswegen verbinden – oft abseits großer öffentlicher Aufmerksamkeit, aber von bleibender kulturgeschichtlicher Bedeutung.
Diesem Ansatz folgend legen die Autoren Ulrich Hardam und Matthias Thalheim ein Porträtbuch vor, in dem Persönlichkeiten vorgestellt werden, deren gemeinsamer Ausgangspunkt die Stadt Wernigerode ist, deren Lebenswege jedoch später in sehr unterschiedliche Richtungen führten. Porträtiert werden Eckhart Friedrichson, bekannt als „Meister Nadelöhr“, sein Bruder Peter Friedrichson, die Sängerin Monika Hauff, der Maler Karl Oppermann, der Puppenspieler Klaus Breuing, der Glasgestalter Günter Grohs, der Ballettmanager Peter Marschel, die Kostümbildnerin Jutta Eckerlin sowie der Schriftsteller August Wilhelm Grube. Gemeinsam ist diesen Biografien, dass frühe Träume und künstlerische Neigungen eine prägende Rolle spielten und sich in sehr unterschiedlichen beruflichen Feldern entfalten konnten.
Auch wenn alle Porträts eindrücklich sind, lassen sich exemplarisch zwei herausgreifen, an denen sich unterschiedliche kollektive Erinnerungen zeigen. So verweist die Geschichte von Eckhart Friedrichson auf frühe Fernseherfahrungen vieler DDR-Kinder, für die die Figur des „Meister Nadelöhr“ fest mit gemeinschaftlichen Sehmomenten verbunden ist – häufig im Kreis von Nachbarn oder im familiären Umfeld, als ein eigener Fernseher noch keine Selbstverständlichkeit war. Das Buch erweitert dieses vertraute Bild um biografische Hintergründe und ordnet es in einen größeren Lebenszusammenhang ein.
Eine andere, ebenso vielschichtige Perspektive eröffnet das Porträt von Monika Hauff. Ihr musikalisches Wirken war über viele Jahrzehnte hinweg Teil der populären Musiklandschaft der DDR und prägte den Alltag von Radiosendungen und Schallplattenproduktionen. Im Buch werden Hintergründe sichtbar, die über das öffentliche Bild hinausgehen und Einblicke in Arbeitsweisen, Produktionsbedingungen und künstlerische Zusammenhänge geben.
Dabei wird deutlich, dass Monika Hauff, die ursprünglich Monika Kluge heißt, ihren Künstlernamen bereits sehr früh erhielt – lange bevor sich das spätere Gesangsduo Hauff/Henkler formierte. Über Jahrzehnte hinweg traten Monika Hauff und Klaus-Dieter Henkler, beide 1944 geboren, als Duo auf – über die Zeit der DDR hinaus und bis ins hohe Alter.
Ein frühes, aufschlussreiches Moment dieser Entwicklung beschreibt das Buch anhand eines Vorsingens vor einer Einstufungskommission im Jahr 1967. Monika Hauff war damals 23 Jahre alt, noch kaum bekannt, und Klaus-Dieter Henkler war ihr bis dahin noch nicht begegnet. Vor Ort sangen sie erstmals gemeinsam, unter anderem das Duett „Noch ein Tanz (Schatz, geh nach Haus)“, im Original von Esther und Abi Ofarim. Dazu heißt es im Buch auf Seite 112:
„Den haben sie gesanglich glänzend absolviert, und wenn Monika sich entsprechend frisierte und schminkte, bekam das Duett per ,Esther-&-Abi-Image‘ internationales Flair.“
Diese Bemerkung verweist auf einen wichtigen kulturellen Zusammenhang. In den 1960er-Jahren war das Duo Esther und Abi Ofarim aus Israel auch in der DDR bekannt, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der Amiga-LP „Melodie einer Nacht“, wodurch ihr musikalischer Stil vielen längst vertraut war.
Für das Gesangsduo Hauff/Henkler bot diese Referenz eine sofort verständliche klangliche und visuelle Anknüpfung: international wirkend, ohne fremd zu erscheinen. So erklärt sich, warum sich viele Hörerinnen und Hörer später bei Hauff/Henkler an Esther und Abi Ofarim erinnert fühlten – nicht als Kopie, sondern als vertraute Klangidee, die über Jahre hinweg wiedererkennbar blieb.
"Geboren in Wernigerode – hinaus in die Welt“ verbindet individuelle Lebenswege mit kultureller und medialer Zeitgeschichte und eröffnet insbesondere für Menschen mit DDR-Biografie zahlreiche Anknüpfungspunkte – über frühe Medienerlebnisse, musikalische Erinnerungen und das Wiedererkennen gemeinsamer kultureller Bezüge. Empfehlenswert ist das Buch zugleich als Beispiel dafür, wie Musik, Medienfiguren und künstlerische Vorbilder zu Trägern biografischer Erinnerung werden können – und wie solche Erinnerungen über Jahrzehnte hinweg lebendig bleiben. Weitere Informationen zum Buch sowie Bezugsangaben finden sich beim Spelhus Verlag Wernigerode.
Anmerkung: Der Porträtband versteht sich ganz bewusst als Auswahl. Die vorgestellten Lebenswege stehen exemplarisch für viele weitere Biografien, die ihren Ursprung in Wernigerode haben und von dort aus in unterschiedliche Richtungen führten. Zu ihnen zählt auch der Nachrichtensprecher und Rundfunkmoderator Peter Niedziella, ebenfalls Jahrgang 1944 und in Wernigerode geboren. Viele verbinden seinen Namen bis heute mit der beliebten Sendung „Musikalische Luftfracht“, die einst bei Radio DDR I ausgestrahlt wurde.
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