Eine alte Musikkassette – und der Klang eines wiedergefundenen Moments
Ein Konzertabend mit Quadro Nuevo, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Enrique Ugarte, im Haus des Rundfunks in der Berliner Masurenallee brachte mehr als nur Musik zurück. Denn an diesem 31. Oktober 2025 schloss sich vielmehr ein Kreis, der vor über drei Jahrzehnten begonnen hatte – damals, kurz nach dem Mauerfall, als ich noch als Musikredakteurin bei Radio aktuell arbeitete. Und dort begegnete ich plötzlich einem jungen Musiker aus dem Baskenland – Enrique Ugarte – offiziell als Gast aus dem sogenannten „nicht sozialistischen Ausland“.
Im DDR-Rundfunk war uns Musikredakteur:innen genau vorgeschrieben, wie viel Musik aus westlichen Ländern gesendet werden durfte – nicht mehr als vierzig Prozent. Doch Anfang der 1990er Jahre änderte sich plötzlich alles: Bisher Unerlaubtes war auf einmal erlaubt. Künstler:innen „aus dem Westen“ fanden überraschenderweise – meist erstmals überhaupt – ihren Weg in die „kleine Stadt in der großen Stadt“ im Osten von Berlin. Und einer von ihnen war jener lebenslustige junge Musiker – offen, mit Schalk im Nacken und großer Begeisterung. Für eine meiner Sendungen nahm ich mit ihm ein Gespräch auf, das ich später kaum mehr in Erinnerung hatte. Die Sendung hieß „Musik spezial“ – ein Titel, der rückblickend fast symbolisch wirkt. Denn auch damals hätte ein Ensemble wie Quadro Nuevo, mit seiner Mischung aus Jazz, Tango und mediterranen Klängen, perfekt hineingepasst. Nur wenige Wochen nach dem ausgestrahlten Interview erlebte ich Enrique Ugarte 1991 dann live beim World Music Festival in Hamburg – einer Stadt, die bis dahin jenseits der erlaubten DDR-Reisewelt lag, in der Reisen im Grunde nur gen Osten möglich waren. Umso unvergesslicher war es, dort zum ersten Mal ein Konzert dieser Art erleben zu dürfen. Bis heute erinnere ich mich noch an Momente, in denen ich glaubte, vor Begeisterung neben mir zu sitzen.
Als ich vor wenigen Monaten eher zufällig auf eine alte Musikkassette stieß, bekam das, was damals ein einmaliges Erlebnis gewesen war, Jahrzehnte später einen unerwarteten Nachklang. Denn beim genaueren Hinsehen – besser: Hineinhören – in die Aufnahmen erkannte ich, dass sie auch mein Gespräch mit Enrique Ugarte enthielt. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ihn damals überhaupt interviewt hatte. Denn als Musikredakteurin gestaltete oder begleitete ich Sendungen meist musikalisch, führte aber nur selten selbst Gespräche mit Musikern. Allein schon deshalb war das Wiederhören ein Moment des Staunens: unsere jungen Stimmen, neugierig, voller Enthusiasmus – und Enrique, der über Musik sprach, als wäre sie ohne Vorgaben und Grenzen.
Ein Blick zurück auf das Berliner Konzert am 31. Oktober 2025 - siehe auch - erinnert auch daran, dass das Rundfunk-Sinfonieorchester Anfang der 1990er Jahre – ebenso wie ich – noch in der Nalepastraße beheimatet war. Heute, so viele Jahrzehnte später, spielt es längst in verjüngter Besetzung, fern dieser Straße, am anderen Ende der Stadt. So auch im großen Sendesaal des RBB, wo sich ein Kreis schloss, der 1991 begonnen und sich 2025 vollendet hat – ein Kreis aus Klang, Erinnerung und Lebenswegen, vom Tonband in meiner Kassettenschachtel bis zu den strahlenden Tönen im Raum. Musik ist mehr als Zeit: Sie ist Verbindung.
1991: EH im Gespräch mit Enrique Ugarte & 2025: Haino Rindler ebenso im Konzert-Podcast:
Erinnerungen von Elisabeth Heller I 2025 II AudioCollagen